HS: Deutschsprachige Literatur in der Schweiz

Veranstaltungsdetails

Lehrende/r: Dr. Andreas Keller

Veranstaltungsart: Hauptseminar

Anzeige im Stundenplan: HS: Deutschspr.Lit.

Semesterwochenstunden: 2

Unterrichtssprache: Deutsch

Min. | Max. Teilnehmerzahl: - | 40

Anmeldegruppe: HS-NDL

Prioritätsschema: Senatsrichtlinie
Zulassung gemäß Richtlinie über den Zugang zu teilnahmebeschränkten Lehrveranstaltungen vom 07. März 2007.

Nähere Informationen hierzu entnehmen Sie bitte www.info.jogustine.uni-mainz.de/senatsrichtlinie

Inhalt:
Auch ohne „spatial turn“ waren deutschsprachige Texte aus dem Raum südlich von Süddeutschland schon immer ein besonderes Problem: Begegnet hier nun eine von drei „deutschen Literaturen“, eine eigene „Schweizer Literatur“ oder doch einfach nur „Literatur in der Schweiz“ auf deutsch? Urs Widmer stellte 1998 unmißverständlich klar: „Es gibt keine Schweizer Literatur. Es gibt nur Literatur aus der Schweiz. Wir Dichter aus der deutschsprachigen Schweiz sind deutsche Dichter“. Dagegen bauten beide, ethnisch ja doch auch durchaus verwandte Regionen gerne immer wieder gebirgshohe Divergenzen zwischen einander auf, die sich in wechselseitiger Nervosität von einer plumpen Stereotypenbildung („Sauschwaben“ gegen „Kuhschweizer“) bisweilen auch bis zur offenen politischen Konfrontation hochschaukeln können: etwa ob die Schweiz als erhellendes Kontrastmittel, als heilsames Korrektiv oder als Alternativmodell für Deutschland dienen oder vielleicht doch gleich heimlich das „bessere Deutschland“ (jüngst 2010: Altweg/ de Weck) sein könnte: „… so ist auch jetzt eine zeitweilige Verschweizerung ein ratsames Mittel, um ein wenig über die deutsche Augenblicklichkeits-Wirtschaft hinauszublicken“, notierte bereits Friedrich Nietzsche im 19. Jahrhundert.
Eine Reihe von Mythen, Topoi und Klischees schweizerischer Selbst- und Fremdverortung stehen bereit, um hier klärende Diskursansätze zu finden: Rütlischwur, Freiheitskampf, Réduit-Ideologie, direkte Demokratie, (bewaffnete) Neutralität und Souveränität, Präzision und Bankgeheimnis, aber auch Gotthardtunnel und Teilchenbeschleuniger, Alpen und Naturgewalt. Personifiziert erscheinen diese Abstrakta im heldenmütigen Wilhelm Tell, in wahnsinnigen Physikern und Krankenschwestern oder in der treusinnigen Heidi und dem Alpöhi. Dazu tritt als besonderes Spezifikum die schweizerische „Katastrophenliteratur“ (Pfister) als ein seltsames Kollektivmoment des inneren nationalen Plurikulturalismus, der sich nicht zuletzt ja auch in der Sprachenvielfalt ausspricht – wobei die Frage des Hochdeutschen als Standardsprache im Gegensatz zum Schwyzerdütsch natürlich eine ganz eigene Kategorie darstellt.
Immer wieder aber resultieren aus diesen Aspekten auch Wertungsfragen: Kosmopolitismus oder Isolationismus? Fortschritt oder Rückschritt? Freiheit oder Beschränkung? Gefängnis (Dürrenmatt) oder Insel (Muschg)? Oder gilt es die Synthese aus alledem zu preisen: politischer Zwerg und finanzielle Großmacht (Muschg) mit stabiler Rückversicherung als Fortschrittsoptimierung? So betrachtet es Adolf Muschg etwa als Tatsache, „daß die moderne Schweiz das besterhaltene Stück strukturellen Mittelalters in Europa war und bis heute ist“.
Das Seminar unternimmt eine kursorische Prüfung dieser Aspekte anhand von ausgewählten Autoren und Texten aus dem langen Zeitraum zwischen Mittelalter und Gegenwart. Eine Betrachtung der Frühzeit zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert ist schon deshalb von Bedeutung, weil hier viele politische Ereignisse bereits literarisch so thematisiert werden, daß sich für später ein stofflicher Fundus bildet, der immer wieder für Fragen der Selbstvergewisserung herangezogen werden kann: vor allem für Macht- und Herrschaftsfragen in Verbindung mit Konfession, Religion und Territorialismus. Dies spiegelt sich in verschiedensten Gattungen wider, blickt man auf Epos, Prosaroman, Satire, geistliches Spiel und Schultheater, Chronistik (Tellsage) oder Enzyklopädien.
Das 18. Jahrhundert zeigt sich dann zunächst als Auseinandersetzung des deutschen Rationalisten Gottsched mit „den Schweizern“ Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger, bevor dann höchst eigenständige literarhistorische Phänomene auftreten, für die Namen stehen wie Albrecht von Haller, Salomon Geßner, Ulrich Bräker, im 19. Jahrhundert dann Jeremias Gotthelf, Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer oder Johanna Spyri. Im 20. Jahrhundert wären unter vielen anderen (eine Auswahl wird im Seminar getroffen!) Robert Walser, Annemarie Schwarzenbach, Albin Zollinger, Meinrad Inglin, Kuno Raeber, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch zu nennen, bevor dann die Gegenwartsautoren anstünden wie Adolf Muschg, Peter Bichsel, Gertrud Leutenegger, Gerold Späth, Hermann Burger, Thomas Hürlimann, Jürg AmannUrs Widmer, Laure Wyss, Ruth Schweikert, Zoë Jenny, Lukas Bärfuss oder Dorothee Elmiger. Jenseits des klassischen Autorporträts wären auch vergleichende Sprachbetrachtungen, etwa zur mundartlichen Lyrik oder Formen des „rhetoric rap“ (Hess-Lüttich), denkbar, bei Interesse wäre auch ein Schwerpunkt hinsichtlich der Distributionsbedingungen (Medienlandschaft, Kulturzeitschriften, Verlagswesen, Plakat und Propaganda) zu setzen.
Insgesamt sollten die Ergebnisse dann auch in Verbindung mit Fragen der nationalen bzw. regionalen Literaturgeschichtsschreibung (von Baechthold 1892 bis Rusterholz/Solbach 2007) erörtert werden. Reizvoll wäre es darüber hinaus, die Schweiz einfach als optionales Muster für verschiedene räumliche Bewegungen zu betrachten: als Exil- und Transitland (Zschokke, Hesse, Lasker-Schüler, Musil, Brecht, Georg Kaiser, Thomas Mann), als Abflugort für „Nestflüchter“ (Rusterholz), also Schweizer, die vorwiegend anderswo leben wie Paul Nizon, Matthias Zschokke oder Perikles Monioudis, oder als Durchreiseland, etwa für Goethe aus Thüringen. Die aktuelle Literatur wird auch in der Schweiz maßgeblich von Autoren der Migration mitgetragen: Zsuzsanna Gahse, Dragica Rajcic oder Yusuf Yesilöz resümieren eidgenössische Fragen auf ihre Weise. Ein eher unkonventioneller Vergleich konkurrierender Bestsellerautoren könnte Aspekte für eine umfassende Schlußdiskussion erbringen: so soll einmal probeweise das Werk des Schweizers Hans Küng gegen das des Bayern Joseph Ratzinger gelesen werden.

Termine
Datum Von Bis Raum Lehrende/r
1 Mi, 20. Apr. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
2 Mi, 27. Apr. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
3 Mi, 4. Mai 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
4 Mi, 11. Mai 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
5 Mi, 18. Mai 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
6 Mi, 25. Mai 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
7 Mi, 1. Jun. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
8 Mi, 8. Jun. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
9 Mi, 15. Jun. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
10 Mi, 22. Jun. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
11 Mi, 29. Jun. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
12 Mi, 6. Jul. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
13 Mi, 13. Jul. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
14 Mi, 20. Jul. 2011 18:15 19:45 00 003 SR 07 Dr. Andreas Keller
Übersicht der Kurstermine
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Lehrende/r
Dr. Andreas Keller