Lehrende/r: Dr. Andreas Keller
Veranstaltungsart:
Hauptseminar
Anzeige im Stundenplan:
HS: Gegenwartslit.
Semesterwochenstunden:
2
Unterrichtssprache:
Deutsch
Min. | Max. Teilnehmerzahl:
- | 50
Anmeldegruppe: NdL 2
Prioritätsschema: Senatsrichtlinie
Zulassung gemäß Richtlinie über den Zugang zu teilnahmebeschränkten Lehrveranstaltungen vom 07. März 2007.
Nähere Informationen hierzu entnehmen Sie bitte www.info.jogustine.uni-mainz.de/senatsrichtlinie
Inhalt:
Das Phänomen der Zuwanderung und die resultierenden psychologischen, gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Fragen artikuliert sich vor allem in Sprache, Text und Literatur und ist seit einiger Zeit auch Gegenstand der philologischen Forschungen. Sprach man zunächst von Gastarbeitertexten, Ausländerliteratur, Literatur der Einwanderer, Migrantenliteratur, interkultureller und schließlich transnationaler oder gar kosmopolitischer Literatur, so sieht man mittlerweile nach kritischer Revision der multikulturellen Gesellschaft hoffnungsvoll eine postnationalen Diskurs als Chance. Thematische Problemfelder bildeten zu Anfang die konkrete Situation verschiedener ethnischer Gruppen in ihrem Gastland: Gleichstellung in der Arbeitswelt, Bleiberecht, soziale Gerechtigkeit und Solidarität waren Gegenstand von Gedichten, Dramen und Erzählungen . Der Gegensatz zwischen Herkunftsland und Gastland führte bald zu weiter greifenden und grundsätzlicheren Fragen wie Assimilierung und Parallelgesellschaft oder Identität und Hybridität, Fragen, von denen nun jeweils alle Personengruppen (Arbeitsmigranten, Asylanten, Exilanten, Aussiedler), vor allem auch im Hinblick auf eine stetig wachsende Generationsfolge betroffen sind. Vor allem die dritte Migrantengeneration formuliert hier selbstbewußt neue Ansätze und entzieht sich dem Konflikt zwischen Vereinnahmung und Ausgrenzung (Karl Esselborn). Spezifische poetische Kompetenzen der Sprachwechsler, ihre erlebte und reflektierte Mehrsprachigkeit und die rezeptive Funktionalisierung von Sprachkontakten sorgen für besondere sprachliche Kreativität und erweisen den aktuellen Nachteil der autochthonen Monolingualität in der deutschen Literatur. Daß Öffentlichkeitsarbeit und Forschung hier entsprechend mit produktiver Akzeptanz reagieren, zeigen etwa der jährlich vergebene Adelbert von Chamisso Preis, die Adelbert von Chamisso-Vorlesungen in Dresden oder das Exzellenzcluster Kulturelle Grundlagen von Integration an der Universität Konstanz, das mit Forschungsfeldern wie Identitätskulturen, Erzähltheorie als Kulturtheorie, Transkulturelle Hierarchien oder Kulturdynamik von Religion entsprechende Projekte anstößt. Neben der Diskussion aktueller Texte soll ein tiefenhistorischer Exkurs zeigen, daß mit den in Deutschland siedelnden Glaubensflüchtlingen (Waldensern und Hugenotten) bereits im 17. und 18. Jahrhundert vergleichbare Konstellationen zu beobachten sind, daß im 19. und frühen Jahrhundert mit polnischen Arbeitern im Rheinland, mit den autoritären Maßnahmen zu einer Germanisierung in den preußischen Ostprovinzen nach 1871, aber evtl. auch mit den nach 1917 in deutsche Regionen flüchtenden Adeligen und Intellektuellen aus Rußland interessante Augpunkte gesetzt sind. Die Flüchtlinge und Vertriebenen nach 1945 zeigen, wie in Deutschland auch Deutsche zu integrieren waren. Hinzu treten individuelle Personen wie der als Franzose in Preußen deutsch schreibende Adelbert von Chamisso oder der deutschsprachige Preuße Adalbert von Winkler (1838-1918), der seine Identität als Kaschube entdeckte, polnisch lernte und sich fortan Wojciech Kêtrzyñski nannte. Autorinnen und Autoren wie Artur Becker, Sudabeh Mohafez, Vladimir Kaminer, Franco Biondi, Ilija Trojanow, Feridun Zaimoglu, Lena Gorelik, Yoko Tawada (Japanerin), Cyrus Atabay, Galsan Tschinag, Adel Karasholi, Saa Staniiæ, Eleonora Hummel, Marica Bodroiæ, Herta Müller, Catalin Dorian Florescu, Rafik Schami und Said u.a. dürften ein umfassendes plurikulturelles Panorama für die Seminargespräche sicherstellen. Fragen an das philologische Methodenspektrum (Sozialgeschichte, Postkolonialismus, Imagologie, Stereotypenlehre) und der Blick auf vergleichbare Gattungen (Reiseliteratur, ethnologische Texte) sollen die kritische Kompetenz der Teilnehmer optimieren, ggf. auch im Blick auf mögliche eigene Projekte.
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