HS. Kultfilme: Analyse eines kunstsoziologischen Phänomens

Veranstaltungsdetails

Lehrende/r: Dr. Ivo Ritzer

Veranstaltungsart: Hauptseminar

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Semesterwochenstunden: 2

Unterrichtssprache: Deutsch

Min. | Max. Teilnehmerzahl: - | -

Inhalt:
Kultfilme sind Produkte demokratischer Aneignung. Potentiell kann jeder Film zu einem Kultfilm werden. Versuche essentialistisch zu bestimmen, was einen Kultfilm ausmacht, gelten heute daher als obsolet. Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass Kultfilme meist selbst hochgradig eklektisch operieren, auch Heterogenstes verbinden. Entscheidend ist die Appropriation der Kultisten, die Verwandlung des filmischen Texts in einen "Supertext".
Der amerikanische Filmwissenschaftler J. P. Telotte hat in seinem grundlegenden Aufsatz "Beyond All Reason. The Nature of the Cult" zwei unterschiedliche Typen des Kultfilms spezifiziert. Einerseits spricht er vom Phänomen des "resurrected classic": Filme, die durch und zugleich jenseits der (Film-)Geschichte ihr Publikum zu finden scheinen (Beispiel: CASABLANCA [1942]). Andererseits nennt er das Phänomen der "midnight movies": Filme, die in ritualisierten Vorführungen von einem subkulturellen Publikum immer wieder neu ap-propriiert werden (Beispiel: THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW [1975]).
Kultfilme besitzen in jedem Falle eine minoritäre Anhängerschaft, d.h. sie sprechen nur ein begrenztes Potential von Zuschauern an. So wird eine Gemeinschaft gestiftet, die den ‚profanen' Habitus des Alltags suspendiert, um eine ekstatische Sensibilität zu initiieren, die - konträr zu religiösen Kulten - nicht als Kontemplation sich manifestiert, sondern, im Sinne von Siegfried Kracauer, als Kult der Zerstreuung in Erscheinung tritt: als subjektive Improvisation, als "Abbild des unbeherrschten Durcheinanders unserer Welt". Erst im - wenn auch nur imaginären - Kollektiv erfährt der ‚Kultist' seine zerstreute Konsumption als betont lustvolle Erfahrung.
"Ein Kultist ist ein Kino-Freak", schreiben noch die Filmpublizisten Adolf Heinzlmeier, Jürgen Menningen und Berndt Schulz gegen Ende der 1980er Jahre. Sie verbinden Kult-Erfahrung untrennbar mit Kino-Erfahrung. Doch genauso wie Cinéphilie heute inzwischen auch mit Heimmedien wie VHS, Laserdisc, VCD, DVD oder aktuell Blu-ray gelebt wird, sind Phänomene wie Mitternachtsvorstellungen unterdessen ebenfalls zum großen Teil privatisiert. Hinzu kommt, dass Kultfilme mittlerweile als Nischenmarkt von der Industrie selbst entdeckt worden sind. Mit Filmen von Quentin Tarantino, Kevin Smith oder Richard Kelly ist ihr Versuch auszumachen, (sub-)kulturelles Kapital durch gezielte Warenproduktion in ökonomisches Kapital zu transformieren. Die Industrialisierung der Kultur koinzidiert mit einer Kulturalisierung der Industrie.
Angesichts der ökonomischen Institutionalisierung kultischen Konsumverhaltens wird das Seminar somit nicht zuletzt an der Analyse eines historischen Phänomens arbeiten. Denn traditionell sind Kultfilme meist ein "Kino zweiter Klasse", marginalisierte Filme "vom Komposthaufen, von der Müllhalde", "altes Schmuddelkino" (Heinzlmeier / Menningen / Schulz) mit niedrigem kulturellem Kapital, kurzum: Repräsentanten von ‚schlechtem Geschmack', die aus Feuilletondiskussion und Kanonbildung weitgehend exkludiert waren oder es immer noch sind. Vor allem deshalb, weil viele Kultfilme auf textimmanenter Ebene transgressives Potential besitzen, sowohl in der Wahl des Sujets (als Teil der thematischen Grenzüberschreitung) als auch in der Haltung zu diesem Sujet (als Teil der moralischen Grenzüberschreitung) als auch in formalem Exzess (als Teil der stilistischen Grenzüberschreitung).
Diesen transgressiven Elementen filmischer Texte soll im Laufe des Semesters nachgegangen werden. Gegenstand der Analyse könnten dabei u.a. sein: PLAN 9 FROM OUTER SPACE (1959), NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968), A CLOCKWORK ORANGE (1971), ERASERHEAD (1977), THE LIFE OF BRIAN (1979), THE BLUES BROTHERS (1980), BRAINDEAD (1992), PULP FICTION (1994), THE BIG LEBOWSKI (1998), DONNIE DARKO (2001) etc.

Empfohlene Literatur:
Danny Peary: Cult Movies. New York 1981 - Umberto Eco: CASABLANCA: Cult Movies and Intertextual Collage. In: ders.: Travels in Hyperreality. London 1986 - Adolf Heinzlmeier / Jürgen Menningen / Berndt Schulz: Kultfilme. Hamburg 1988 - John Fiske: Understanding Popular Culture. London 1989 - Timothy Corrigan: A Cinema without Walls. London / New York 1991 - J.P. Telotte (Hg.): The Cult Film Experience. Beyond All Reason. Austin 1991 - Jonathan Hoberman / Jonathan Rosenbaum: Midnight Movies. New York 1992 - Henry Jenkins: Textual Poachers. Television Fans and Participatory Culture. New York 1992 - Jeffrey Sconce: Trashing the Academy: Taste, Excess and an Emerging Politics of Cinematic Sty-le. In: Screen 4/1995 - Pete Tombs: Mondo Macabro. Weird and Wonderful Cinema Around the World. London 1998 - Philip French / Karl French: Cult Movies. Lon-don 1999 - Graeme Harper / Xavier Mendik (Hg.): Unruly Pleasures. The Cult Film and Its Critics. Surrey 2000 - Joan Hawkins: Cutting-Edge: Art-Horror and the Horrific Avant-Garde. Minneapolis 2000 - Mark Jancovich / Antonio Lázaro Reboll / Julian Stringer / Andy Willis (Hg.): Defining Cult Movies: The Cul-tural Politics of Oppositional Taste. Manchester 2003 - Ernest Mathijs / Xa-vier Mendik (Hg.): Alternative Europe. Eurotrash and Exploitation Cinema Since 1945. London 2004 - Ernest Mathijs / Xavier Mendik (Hg.): The Cult Film Rea-der. New York 2008.

Termine
Datum Von Bis Raum Lehrende/r
1 Di, 13. Apr. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
2 Di, 20. Apr. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
3 Di, 27. Apr. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
4 Di, 4. Mai 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
5 Di, 11. Mai 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
6 Di, 18. Mai 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
7 Di, 25. Mai 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
8 Di, 1. Jun. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
9 Di, 8. Jun. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
10 Di, 15. Jun. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
11 Di, 22. Jun. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
12 Di, 29. Jun. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
13 Di, 6. Jul. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
14 Di, 13. Jul. 2010 12:15 13:45 00 211 Hörsaal Dr. Ivo Ritzer
Übersicht der Kurstermine
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Lehrende/r
Dr. Ivo Ritzer