Lehrende/r: Univ.-Prof. Dr. Stephan Leopold
Veranstaltungsart: Vorlesung
Anzeige im Stundenplan: VL LW
Semesterwochenstunden: 2
Unterrichtssprache: Deutsch
Min. | Max. Teilnehmerzahl: 1 | 150
Inhalt: Von der Romantik zum Realismus: Die spanische Literatur im 19. Jahrhundert Das 19. Jahrhundert ist für Spanien das schwärzeste seiner Geschichte: Als Antwort auf den Einmarsch der Napoleonischen Truppen treten die überseeischen Kolonien ab 1809 den Weg in die Unabhängigkeit an, was zur Folge hat, dass ab den 30er Jahren von dem einstmals riesigen Kolonialreich nur noch wenige Besitzungen geblieben sind. Der Unabhängkeitskrieg gegen die Franzosen überzieht das Land mit den durch Goya sprichwörtlich gewordenen desastres de la guerra, und auch nach der Restauration Ferdinands VII. kommt Spanien nicht zur Ruhe, da dieser zwischen Absolutismus und Konstitutionalismus taktierende Monarch das Land in progressive und reaktionäre Kräfte spaltet, die sich noch lange, bis in den Bürgerkrieg von 1936 hinein, feindselig gegenüber stehen werden. Literarisch beginnt das 19. Jahrhundert im Zeichen der Romantik. Diese Romantik ist jedoch nicht nur ein mehr oder minder geglücktes Remake französischer oder englischer Vorbilder, sondern zugleich Organon der das Land zerreißenden soziopolitischen Widersprüche. In der Romantik erfindet sich Spanien nicht als Nation, so wie das etwa in Deutschland der Fall ist, sondern muss sich als Schwundstufe neu definieren. Hier kommt es zu einem kuriosen Rückkoppelungseffekt, denn die durch Schlegel u. a. in Deutschland losgetretene Calderón-Begeisterung strahlt auf Spanien zurück und wird es schließlich Menéndez y Pelayo erlauben, mit dem polemischen Diktum „Calderón y cierra España“ ein ultramontanes Selbstbild zu entwerfen. Die Literatur erschöpft sich freilich nicht in dieser einseitigen Arretierung. Ebensowenig entspricht sie jenem von Hugo oder Mérimée entworfenen Fremdbild eines ,exotischen‘ Spanien: Sie stellt vielmehr eine komplexe – und auch ästhetisch komplexe – Verhandlung zwischen Tradition und Moderne, Fremden und Eigenen dar, der insofern ein dezentrierendes Moment innewohnt, als sich gerade kein dominanter Leitdiskurs herausbildet, in dem sich die ideologischen und ästhetischen Debatten beruhigen könnten. Dieser Bewegung wollen wir in der Vorlesung an größtenteils kanonischen Texten ein Stück weit nachgehen und damit nicht zuletzt die Entwicklung hin zum realistischen Roman nachvollziehen.