Lehrende/r: Univ.-Prof. Dr. Matthias Müller
Veranstaltungsart: Vorlesung
Anzeige im Stundenplan: 07.092.030
Semesterwochenstunden: 2
Credits: 3,0
Unterrichtssprache: Deutsch
Min. | Max. Teilnehmerzahl: 3 | -
Anmeldegruppe: Vorlesungen, Vorl.M. (B.A. 2016) u. CI-M. (B,A. 2012) sowie Modul I (M.A.), WS 17_18
Inhalt: Was ist Gotik? Giorgio Vasari, Hofkünstler der Medici, wollte in der Mitte des 16. Jahrhunderts mit dem Begriff der „Gotik“ seine Geringschätzung für eine ganze Stilepoche des Mittelalters und der beginnenden Frühen Neuzeit zum Ausdruck bringen. Doch die negative Zuschreibung hatte keinen Erfolg, so dass der Begriff in der Folgezeit zum positiv besetzten Synonym für eine der glänzendsten und innovativsten Architekturepochen in Europa werden sollte. Bereits die Zeitgenossen Vasaris erkannten in der „Gotik“ weniger eine das antike, griechisch-römische Erbe verunstaltende Bauweise, die in ihrer Missachtung antiker Proportionen und Systematiken nur von vermeintlich barbarischen Goten geschaffen worden sein konnte, sondern bewunderten eher die kühnen Konstruktionen und Lichtwirkungen der gotischen Kathedralen Frankreichs oder der spätgotischen Turm- und Gewölbebauten Deutschlands. Die konstruktiv kühnen und zugleich ästhetisch anspruchsvollen gotischen Raumwirkungen und Linienführungen faszinierten erst recht im 18. Jahrhundert, in dem die „Gotik“ vor allem als kirchlicher bzw. capricciohafter Stil aufgefasst wurde, um dann im 19. Jahrhundert schließlich zum romantisch-nationalistischen Inbegriff eines deutschen, französischen oder englischen Nationalstils zu mutieren. Hieran knüpfte die wissenschaftliche Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts an, bis dann die Katastrophe des 2. Weltkriegs die gotische Kathedrale als Sinnbild einer aus dem Mittelalter in die wiederaufzubauende Moderne hineinragende ethisch-moralische Verheißung erscheinen ließ. Schließlich usurpierte die gesellschaftliche Revolution von 1968 die „Gotik“, indem eine sozialwissenschaftlich inspirierte Kunstgeschichte in der gotischen Architektur die Semantik politischer Zeichensysteme erkennen wollte. Welchen Begriff und welches Verständnis können wir heute, im fortschreitenden 21. Jahrhundert von der „Gotik“ entwickeln und welche aktuellen Zugänge zu einem Stilphänomen finden, das vor mehr als 800 Jahren die künstlerische Avantgarde bedeutete? Diesen Fragen möchte die Vorlesung mit der gebotenen Vorsicht vor eindeutigen Erklärungen anhand von Fallbeispielen nachgehen.