Lehrende/r: Dr. phil. Julia Brühne
Veranstaltungsart: Vorlesung
Anzeige im Stundenplan: VL KW
Semesterwochenstunden: 2
Credits: 2,0
Unterrichtssprache: Deutsch
Min. | Max. Teilnehmerzahl: - | -
Voraussetzungen / Organisatorisches:
Inhalt: Jouissance, pleasure, enjoyment – Genießen hat viele Gesichter. In dieser Vorlesung werden wir uns mit dem Phänomen des Genießens des ‚Anderen‘ befassen. Ausgehend vom unheimlichen Genießen der Frau oder des kolonialen Anderen in den fantastischen Kurzgeschichten des argentinischen Autors Leopoldo Lugones und der genussvollen, masochistisch-gesellschaftskritischen Desintegration des zwischen Europa und Lateinamerika changierenden Ichs bei Julio Cortázar, werden wir uns ebenso französischen Kolonial- und Identitätserschreibungsparadigmen widmen, wie sie etwa in Albert Camus’ L’étranger verhandelt werden. Im Rahmen der Sinnsuche des genießend-konsumierenden, gleichwohl in „transzendentaler Obdachlosigkeit“ (G. Lukács) verharrenden Subjekts der Postmoderne, wird uns überdies die lustvolle Dekonstruktion des traditionell der Kontingenzbewältigung dienenden Kriminalromans zu interessieren haben, wie man sie bei Jorge Luis Borges oder Alain Robbe-Grillet beobachten kann. Neben Romanen und Kurzgeschichten wird im Laufe des Semesters immer wieder auch der Film Gegenstand der Untersuchung sein. So werden wir uns dem frühen surrealistischen Meisterwerk von Luis Buñuel, L'âge d'or, wo das libidinöse Genießen im Freudschen Sinne triebhaft hervorbricht, zugleich aber kinematographisch eingefroren und aufgeschoben wird, ebenso anzunähern suchen wie dem italienischen Kino der 60er Jahre: Wie setzt Luchino Viscontis Verfilmung von Camus' L’étranger (Lo straniero) die Matrix des Genießens in Szene? Welcher Art ist das kindlich-sinnliche Genießen Sylvias (Anita Ekberg) in Federico Fellinis La dolce vita? Von Visconti, Fellini und dem Exilspanier Buñuel aus begeben wir uns schließlich ins franquistische Spanien und zu den Regisseuren Luis García Berlanga und Juan Antonio Bardem: Inwieweit ist hier Genießen möglich und nötig, vielleicht sogar von einer neuen (kapitalistischen) Ordnung aufgezwungen? Wie kann sich das Subjekt konstituieren, wenn sich das eigene Genießen nur in Relation zum ‚verschlingenden‘, repressiven Genießen des dominanten ‚Anderen‘ abspielen darf? Den letzten Teil der Vorlesung bildet die Frage nach dem Genießen im Zeitalter der political correctness: Wird das eigene ‚freie‘ Genießen durch die Auflage politisch, moralisch, ethisch etc. ‚unbedenklicher‘ Kommunikation gestört, oder konstituiert sich das postmoderne Genießen im 21. Jahrhundert vielleicht erst durch die Erfüllung der Maßgabe politischer Korrektheit und somit durch die Befriedigung eines Lacanianischen großen Anderen (post-)demokratischer Natur, für dessen Ohr und Auge unsere Äußerungen und Handlungen gedacht sind? Den Ausgangspunkt für diese Fragen werden Yasmina Rezas Le Dieu du carnage und Roman Polanskis Verfilmung des Stückes, Carnage, bilden.
