Lehrende/r: Univ.-Prof. Dr. Friedemann Kreuder
Veranstaltungsart: Hauptseminar
Anzeige im Stundenplan: HS Theatralität
Semesterwochenstunden: 2
Unterrichtssprache: Deutsch
Min. | Max. Teilnehmerzahl: - | 23
Anmeldegruppe: Theatralität & Medialität WiSe 17/18
Prioritätsschema: IFTEK ab FS5 Alle Studierenden ab dem 5. Semester werden bevorzugt akzeptiert. Das 5. und alle weiteren FS werden gleichraning behandelt. Die Gruppe in FS 1-4 behandelt auch innerhalb der Gruppe alle Studierende gleichranging.
Inhalt: Die Gegenwart des Eingedenkens (Benjamin) an die Shoah ist durch den Krisenzustand gekennzeichnet, dass mit einem weiteren Generationenwechsel die überlebenden Zeugen der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts allmählich aussterben. Damit ändert sich auch der Gegenstand des kulturellen Gedächtnisses. Aus der “erfahrungsgesättigten, gegenwärtigen Vergangenheit” der Überlebenden wird eine “reine Vergangenheit” (Koselleck), die sich der Erfahrung entzogen hat. Mit der aussterbenden Erinnerung wird die Distanz nicht nur größer, sie verändert auch ihre Qualität. Jorge Semprún hat dies in Schreiben oder Leben (1995) folgendermaßen formuliert: Der Tag würde kommen, relativ bald, an dem es keine Überlebenden von Buchenwald mehr gäbe. Es würde kein unmittelbares Gedächtnis von Buchenwald mehr geben: niemand könnte mit Wörtern der körperlichen Erinnerung sprechen, nicht nur mit den Worten einer theoretischen Rekonstruktion sagen, wie der Hunger, der Schlaf, die Angst gewesen war, die gleißende Gegenwart des absoluten Bösen [...]. Niemand mehr hätte in seiner Seele und in seinem Gehirn unauslöschlich den Geruch von verbranntem Fleisch der Verbrennungsöfen. [...] Es wird nur noch eine Phrase sein, ein literarischer Beleg, eine Idee von Geruch. Geruchlos also. Das Erfahrungsgedächtnis der Nazi-Verbrechen ist damit einem unaufhaltsamen Prozess des Absterbens, Verblassens, Vergessens überantwortet. Soll das Erfahrungsgedächtnis der Zeitzeugen in Zukunft nicht verloren gehen, muss es in ein kulturelles Gedächtnis der Nachwelt übersetzt werden. Eben dieser Übergang vom lebendigen individuellen zum künstlichen kulturellen Gedächtnis ist allerdings problematisch, weil ihm Verzerrung und Reduktion, Verengung und Verhärtung immanent sind. Das Seminar diskutiert daraus resultierende theater/künstlerische Probleme der Repräsentation von Zeugenschaft aus der emischen Perspektive der Akteur_innen darauf bezogener kultureller Kommunikation, wie auch der ethischen von deren Aufführungs-/Analyse anhand einschlägiger Literatur (u.a. Levi, Felman/Laub, Young, Weiler, Kreuder, Bachmann).