Lehrende/r: Romina Heim; Univ.-Prof. Dr. Birgit Menzel; Dr. Anna Tessmann
Veranstaltungsart: Hauptseminar
Anzeige im Stundenplan: 06.139.0508
Credits: 6,0
Unterrichtssprache: Deutsch
Min. | Max. Teilnehmerzahl: - | -
Voraussetzungen / Organisatorisches: Studierende aller Sprachrichtungen sind herzlich eingeladen! Russischkenntnisse sind von Vorteil, aber nicht zwingend.
Inhalt: Nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Herrschaftssystems mit seinem aggressiven Atheismus und den damit zusammenhängenden Orientierungsmustern ist Religion heute in Russland wieder zu einem prominenten Thema geworden. Seit dem Boom (neu-)religiöser Vielfalt in den 1990er Jahren hat die orthodoxe Kirche eine staatlich geförderte Monopolstellung zurückerlangt. Allerdings sind neben und außerhalb der institutionalisierten Religion zahlreiche neue religiöse Bewegungen entstanden, die Ausdruck für individuell motivierte spirituelle Suchbewegungen jenseits von Dogmen sind. In diesem Seminar interessiert uns die Frage, wie sich diese Rückkehr des Religiösen in Russland kulturwissenschaftlich analysieren und bewerten lässt. An Beispielen wird diskutiert, wie sich die spirituellen Lösungen in neureligiösen Gruppen zur atheistischen Vergangenheit der Sowjetzeit verhalten, welche kulturelle Bedeutung ihnen im gegenwärtigen Zeitgeschehen Russlands zukommt und welche Parallelen sie zu ähnlichen globalen Trends neuer Formen der Spiritualität aufweisen. Spiritualität hat sich mittlerweile zu einem Trendbegriff entwickelt. Immer mehr Menschen bezeichnen sich als spirituell, wobei Spiritualität als eine antidogmatische und antiinstitutionelle Weltanschauung verstanden wird. In Abgrenzung zu traditionellen Religionen wird Spiritualität individuell ausgelegt, praktiziert und erlebt. In der Kulturwissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von einer „DIY"- oder „Patchwork"-Religiosität, was eine nicht konfessionell gebundene, säkularisierte und individualisierte Form der Religion bezeichnet. Im russischen Kulturkreis hat das deutsche Wort Spiritualität keine wörtliche Entsprechung, da der geläufige Begriff duchovnost` einen Komplex von unterschiedlichen, historisch geprägten Ideen bezeichnet. In dieser Lehrveranstaltung liegt der Schwerpunkt auf spirituellen Praktiken (duchovnye praktiki) im postsowjetischen Russland. Sie beziehen ihre Anziehungskraft nicht zuletzt aus Begegnungen westlicher und östlicher Glaubenswelten und Weisheitslehren. Im gegenwärtigen Russland lassen sich sowohl kulturspezifische als auch globale Tendenzen beobachten, etwa in der Zunahme von spirituellen Orientierungsangeboten und esoterischen Strömungen, die auch als New Age bezeichnet werden. Offenbar reagieren diese Entwicklungen jenseits nationalkultureller Grenzen auf ein Bedürfnis der Menschen in den sogenannten „postsäkularen" Gesellschaften. Wir fragen daher zugleich danach, wie sich die neue Spiritualität zur atheistischen Vergangenheit verhält? Welche Überschneidungen, Gemeinsamkeiten und Wechselbeziehungen gibt es zwischen spezifisch russisch/postsowjetischen und globalen Phänomenen von Religiosität? (Wie) überschreiten Menschen die Grenzen dieser verschiedenen Erfahrungswelten? Wie sind sie historisch vermittelt und wie sind sie gegenwärtig präsent? Kann man von einer Übersetzung des Heiligen sprechen? Lassen sich nationale Spezifika erkennen und wie sind sie mit transnationalen, globalen spirituellen Entwicklungen zu vergleichen? Trotz der scheinbar verschiedenen, sogar gegensätzlichen Bedeutungen, Ideen, Glaubensvorstellungen und Praktiken dieser Strömungen weisen sie eine innere Logik auf und sind durch eine Vielzahl globalisierter sozialer Prozesse miteinander verknüpft. Ein Reader wird vor Beginn des Seminars zur Verfügung gestellt.
